rostlaube
Ein Zeitgenosse hatte ein unstillbares Verlangen nach meinem Fahrrad verspürt. Es war älter, etwas defekt und hatte Flugrost. Ja, ich weiss, ich bin keine gute Fahrradhalterin. Aber auch keine gute Fahrradfahrerin.
Immerhin waren beide Reifen auf Solldruck. Vielleicht war’s das. Was den Dieb so fasziniert hat. Aber er hatte auch Sinn für Humor und sein Karma fest im Blick. Er hat nicht einfach meins mitgenommen. Nee. Er hat getauscht. Meins gegen seins.
Eine unglaubliche Maschine! Wird nur zusammengehalten durch Frechheit, Rost und Dreck. Es fährt nicht. Die Räder sind fest mit den Gabeln verbunden. Rost. Die Pedale bewegen sich auch nicht. Rost. Erstaunlicherweise hat das Gerät eine mechanische Klingel. Aber sie klingelt nicht. Wegen Rost.
Mein Karma hat also beschlossen mich auf meine beiden Beine hinzuweisen. Deswegen gehe ich. Das Tauschfahrrad steht da nur einfach so ‘rum. Sein Karma hat beschlossen es in Rost zu verwandeln. Weil das langsam und ganz still geht tut es nix böses. Und da es unbeweglich ist verlässt es mich auch nicht. Ein treuer Begleiter.
Es ist ein Stehrad. Kein Fahrrad. Keines von diesen promisken Dingern die sich lose jedem anbieten! Die wohlig unter der Last der Fahrer ächzen und stöhnen und schrill klingeln. Die quietschen und knarzen und rappeln und metallisch blechern ihre Untugend im Takt der Tritte hinaus stöhnen. Nein. Meins ist anständig. Bleibend. Zuverlässig. Treu auch.
Und es rostet so still. Umgeben von Herbstlaub verschwindet es in den Farbtupfen. Mimikri. Ein Fahrrad tut als wäre es ein Haufen Herbstblätter und entgeht so seinen Fressfeinden. Es ist ein schlaues Ding, mein Tauschfahrrad.